Zwölff madrigalische Trost=Gesänge
Wolfgang Carl Briegel

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Wer Gott vertraut; Ach! Herr lehre doch mich; Valet will ich dir geben; Ach wie gar nichts; Du aber Daniel; Ich habe dich ein klein Augenblick verlassen; Si bona suscepimus; Der Gerechte; Wir sind getrost; Ach lieben Christen seid getrost; Es ist ein Elend; Wahrlich ich sage euch
+Fugen durch die 8 Kirchentöne

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Wolfgang Carl Briegels Zwölff madrigalische Trost-Gesänge

»Ende gut, alles gut.« Diese trostreichen Worte stellte Wolfgang Carl Briegel (1626–1712) ins Zentrum der Widmung, die er 1671 für seine Zwölff madrigalische[n] Trost-Gesänge zu fünf oder sechs Stimmen nebst Basso continuo formulierte. Nachdem er ohne Unterbrechung über zwei Jahrzehnte lang dem Herzogshof von Gotha gedient hatte, legte Briegel sein Amt als Hofkapellmeister nieder und verabschiedete sich mit der Veröffentlichung der zwölf Trauerstücke feierlich von seinem Landesherrn, Ernst I., Herzog zu Sachsen-Gotha (1605–1675).

Geboren im unterfränkischen Königsberg, einer Exklave des Herzogtums Sachsen-Gotha, erhielt Briegel seine erste musikalische Unterweisung in Nürnberg bei Johann Andreas Herbst (1588–1666). Durch diesen Lehrer sowie durch Johann Erasmus Kindermann (1616–1645) und andere Musiker kam er indirekt in Kontakt mit den neuesten italienischen Kompositionsund Aufführungsstilen. Nach einem kurzen Studium an der Universität des nahegelegenen Altdorf wirkte er seit 1645 als Organist an der Johanniskirche und Lehrer an der Lateinschule in Schweinfurt. 1650 nahm er eine Stelle am herzoglichen Hof in Gotha an, wo er es schließlich bis zum Kapellmeister bringen sollte. Herzog Ernst I. von Sachsen-Gotha, auch bekannt als »der Fromme«, war nicht nur ein gläubiger Lutheraner und unermüdlicher Reformator, sondern erwies sich auch als fähiger und aufgeklärter Herrscher. Lutheraner, die vor religiöser Verfolgung in anderen Ländern fliehen mußten, fanden bei Ernst Zuflucht. Er realisierte zahlreiche Sozialprogramme, erneuerte das Rechtssystem seines Herrschaftsbereiches und erließ 1642 eine fortschrittliche Schulordnung, in der unter anderem für Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren eine formelle Erziehung vorgeschrieben wurde. 1643 begann man mit der Errichtung von Schloß Friedenstein, der künftigen Residenz der Herzogsfamilie, und nach zehnjähriger Bauzeit war hier einer der größten Fürstensitze entstanden, die während des Dreißigjährigen Krieges in Angriff genommen worden waren.

Während seiner Tätigkeit am Gothaer Hof schrieb Briegel zu den verschiedensten Anlässen einen großen Vorrat an geistlichen und weltlichen Werken, durch die Johann Rudolf Ahle (1625–1673) in Mühlhausen sowie einige Mitglieder der Familie Bach auf ihn aufmerksam wurden. Briegel selbst sorgte für die musikalische Ausbildung der Herzogskinder und erteilte auch der Gemahlin seines Dienstherrn, Herzogin Elisabeth Sophia, entsprechenden Unterricht. Als Hauslehrer unterwies Briegel den hochherrschaftlichen Nachwuchs sowohl in der vokalen wie auch in der instrumentalen Musik – allerdings mit einem frühen, tragischen Ende: Im Dezember 1657 brachen die Pocken aus, und binnen weniger Tage waren drei der jungen Schüler tot. Anstatt ihr Leben mit Musik zu erfüllen, hatte Briegel nunmehr für die musikalische Umrahmung ihrer Beisetzung zu sorgen. Elisabeth Dorothea (1640–1709) jedoch, die Erstgeborene, war verschont geblieben. Sie erblühte und genoß die Wertschätzung ihres Lehrers, der ihre »hohe Zuneigung, guten Verstand und Qualitäten so wohl in der Vocal- als Instrumental-Music« lobte.

Sie vermählte sich im Dezember 1666 mit Landgraf Ludwig VI. von Hessen-Darmstadt (1630–78), und hatte Briegel eigentlich mit sich nehmen wollen. Ihr Vater Ernst widersetzte sich zunächst, gewährte dann aber im Jahre 1670 dem alten, gebrechlichen, seiner Sterblichkeit stets bewußten Manne den Abschied, so daß der Komponist Anfang 1671 zum »Fürstlich Hessischen Kapellmeister zu Darmstadt« ernannt wurde. Diese Position hatte bis zum Ende seines bemerkenswert langen Lebens inne. Indem er seinem bisherigen Arbeitgeber als Lebewohl eine Kollektion tröstlicher Trauermusiken dedizierte, bezeigte er dem Herzog, dem er so lange gedient hatte, seine tiefste Dankbarkeit. Ernst hingegen dürfte die Gabe günstig aufgenommen haben – als beruhigende Erinnerung daran, daß ein christlicher Tod von all jenen Menschen begrüßt wird, die ihr Leben in den demütigen Dienst an ihren Heiland und Erlöser gestellt haben. Wie die Texte dieser tröstlichen Gesänge, so wiederholt auch Briegel in seinem Lebewohl an Herzog Ernst verschiedentlich, daß sowohl im Leben als auch im Tode die Devise »Ende gut, alles gut« gilt.

Der musikalische Stil der Trost-Gesänge

Ungeachtet des Titels, den Briegel seiner Sammlung gegeben hat, sind nicht alle Stücke derselben von »madrigalischer« Natur. Tatsächlich handelt es sich nur bei wenig mehr als der Hälfte dieser Gesänge um die Vertonung biblischer Verse in Form sogenannter »Spruchmotetten«, in denen – der Madrigalkomposition vergleichbar – jede Phrase des geistlichen Textes eine eigene musikalische Behandlung erfährt. Insgesamt zeigt die Kollektion zahlreiche originelle Vertonungen biblischer und dichterischer Worte. In einem Fall (»Wer Gott vertraut«) wird ein Choraltext von Joachim Magdeburg (1525– um 1587) nach Art eines hybriden Musikstils gesetzt, der irgendwo zwischen Motette und einfacheren homophonen Choralbearbeitungen liegt. Bei zwei weiteren Werken (»Ach, Herr, lehre doch mich« und »Ach, wie gar nichts«) handelt es sich weitestgehend um durchkomponierte Abschnitte aus der Heiligen Schrift, deren Vorwärtsbewegung Briegel allerdings jählings unterbricht, wenn er bekannte Choraltexte und -melodien in kräftigen akkordischen Wendungen einwirft. Das erste Stück der Kollektion, Du aber, Daniel, ist eine aus mehreren Texten bestehende Choralmotette von der Art, wie sie die protestantischen Komponisten Mitteldeutschlands liebten. Das Werk beginnt mit dem neu vertonten biblischen Kerntext (Dan 12,13), der von den drei tiefsten Stimmen (TTB) vorgetragen wird. Dazu singt die höchste Stimme (S) in vergrößerten Notenwerten den Text und die Melodie eines bekannten Chorals (»So fahr ich hin zu Jesu Christ«), während gleichzeitig eine dritte, wiederum neu komponierte Melodie zu Vers 14:13 der Offenbarung in einer Binnenstimme (A) hinzutritt. Was der Hörer vernimmt, ist eine einzige trostreiche Botschaft, die simultan aus drei maßgeblichen Richtungen vorgetragen wird: dem Alten Testament, dem Kirchenlied und dem Neuen Testament. Ein weiterer Ansatz Briegels ist in Valet will ich dir geben und Ach, lieben Christen, seid getrost zu hören. Hierbei handelt es sich um die weitgehend akkordische Behandlung bekannter Liedtexte und -melodien, die durch farbenfrohe Stimmkombinationen, emphatische Wortwiederholungen und polychorale Effekte angereichert werden.

Briegels kontrapunktisches Können durchdringt diese Werke. Imitatorische Einsätze werden durch quasi mehrchörige Wirkungen ausgeglichen. Die homophone Vollstimmigkeit wird sparsam eingesetzt und bildet den Kontrast zu subtilen, vielfältigen Stimmkombinationen. Die Texturen bleiben generell transparent, während Briegel eine immer größere Palette vokaler Farben und Kombinationen durchläuft. Dieses Kreisen des Materials, die wechselnden Metren, Tempo und Lautstärken und die allmähliche Steigerung der rhythmischen Aktivitäten verleihen den Kompositionen das Gefühl einer sich steigernden Schwungkraft. Briegel hat diese aus zwölf Trauergesängen bestehende Kollektion nicht als einen von Anfang bis Ende aufzuführenden Zyklus gedacht. Die Sammlung besteht vielmehr aus einzelnen,10 trostspendenden Lesungen, Begleitern oder Hilfsmitteln zur geistig-geistlichen Besinnung. Um die Werke für das Publikum wirkungsvoll anzuordnen und vorzustellen, hat das Ensemble Polyharmonique ein Programm gestaltet, das gewissermaßen eine barocke Proportion reflektiert – und zwar so, daß die Materialgruppierung und -anordnung der ersten Hälfte sich in der zweiten spiegelt, deren struktureller Dreh- und Angelpunkt das Si bona suscepimus bildet, das einzige der zwölf Werke, in dem Briegel einen lateinischen Text verwandt hat. Um diese ausgewogene Anlage zu definieren und zu unterstreichen, sind in die Werkfolge einige Briegel’sche Orgelfugen eingelassen – eine in jeder der acht Kirchentonarten. Es sind dies recht kurze Werke, deren Themen jedoch sehr abwechslungsreich sind und die besonderen Charakteristika und Eigenschaften der verschiedenen Modi zum Ausdruck bringen.

Die Ehrlich-Orgel zu Markt Nordheim

Die zur Begleitung verschiedener Vokalwerke und zur Wiedergabe der acht Fugen eingesetzte Orgel wurde 1786 von Johann Bernhard Ehrlich für die St. Georg Kirche in Markt Nordheim gebaut. Dabei blieben einige Teile des Instrumentes, das durch sie ersetzt werden sollte, erhalten. Die Orgel wurde im 20. Jahrhundert ausgiebig modernisiert, ist jetzt aber, nach einer sorgfältigen Restaurierung in den Jahren 2017–2019, wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt worden. Dazu gehört unter anderem eine höhere Stimmung des Instruments (A=473 Hz), die etwas mehr als einen Halbton über dem modernen Kammerton liegt. Infolgedessen wurden einige der hier aufgenommenen Stücke – ganz im Sinne der historischen Praxis – abwärts transponiert, um den Stimmen besser gerecht zu werden.

Gregory S. Johnston
Übersetzt aus dem Englischen von Eckhardt van den Hoogen