Historia Nativitatis
– ein Weihnachtsoratorium

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Ein Weihnachtsoratorium nach Heinrich Schütz SWV 435

Dieses Weihnachtsoratorium nach Heinrich Schütz SWV 435 versteht sich als Plädoyer für einen freien Umgang mit dem Repertoire des 17. Jahrhunderts und möchte die heutigen Musikschaffenden dazu animieren, sich mit eigenen Versionen und Varianten der Weihnachtshistorie zu beschäftigen und / oder auch andere Werke für konzertante Aufführungen oder den gottesdienstlichen Gebrauch individuell einzurichten.
Mut steht am Anfang des Handelns, Glück am Ende.

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Mit der Historia entwickelte sich im 17. Jahrhundert in der protestantischen Kirchenmusik eine Gattung, die in Worten der Lutherbibel über das Oster-, Passions- und Weihnachtsgeschehen berichten. Die Historiae wurden zu den hohen Festtagen aufgeführt und bestanden aus Evangeliumsrezitation, Chören und geistlichen Konzerten. Der schon zu Lebzeiten weit gerühmte Dresdner Hofkapellmeister Heinrich Schütz griff bereits 1623 mit seiner sogenannten Auferstehungshistorie SWV 50 auf diese Form zurück.

Nach dem Dreißigjährigen Krieg komponierte Schütz „Auff gnädigste Anordnung“ des erst seit 1656 regierenden Kurfürsten Johann Georg II. auch eine Neuvertonung des Weihnachtsevangeliums, die vermutlich erstmals am ersten Weihnachtstag 1660 in der noch alten Dresdner Schlosskapelle (Renovierung 1662) erklang. Der Part des Evangelisten, der den größten Teil der Weihnachtsgeschichte nach Lukas vorträgt, ist nicht mehr im liturgischen Lektionston gesetzt, sondern steht im „Stylo Recitativo“, harmonisch mit dem Basso continuo untersetzt, bestehend aus Orgel und „Baß-Geige oder Violon“. Schütz beabsichtigte, Worte „in Music zu übersetzen“, also die Spezifik der deutschen Sprache mit ihren leichten und schweren, kurzen und langen Silben in musikalisches Geschehen zu übertragen. Dieser „Stylo Recitativo“ ist es auch, der – so Schütz in seinem Nachwort – eine „neue/ und bishero in Teutschland seines Wissens/ in Druck noch nie herfür gekommene“ Kompositionsart darstellt. Ein symmetrischer Aufbau in 10 „Concerten in die Orgel“ (acht Intermedien samt Introduktion und Beschluss) gibt der sogenannten Weihnachtshistorie SWV 435 eine wegweisende inhaltliche Struktur. Als Heinrich Schütz seine Weihnachtshistorie 1664 unter dem Titel Historia, Der Freuden- und Gnadenreichen Geburth Gottes und Marien Sohnes/ Jesu Christi, Unsers Einigen Mitlers/ Erlösers und Seeligmachers im Druck veröffentlichen ließ, ersetzte diese die ältere Historia in der Vertonung von Schütz’ Amtsvorgänger Rogier Michael (gedruckt in Dresden 1602), deren Text Schütz größtenteils übernahm (unter Weglassung der Darstellung Jesu im Tempel nach Lukas 2,22–39). Schütz’ Historia ist in ihrer Faktur für die damalige Dresdner Hofkapelle konzipiert, deren Musiker und Sänger mehrere Instrumente beherrschten. Für eine Aufführung werden elf Vokalsolisten, Violinen, Cornetti, Posaunen, Flöten, Trompeten und der Basso continuo benötigt. Im Druck bot Schütz nur die Einzelstimmen der Evangelistenpartie und des Basso continuo zum Kauf an, hielt aber die zehn vokalinstrumentalen Concerti zurück. Das Notenmaterial dafür sei als Leihmaterial „umb eine billiche Gebühr“ eigens beim Kreuzorganisten Alexander Hering in Dresden oder bei den Kantoren in Leipzig anzufordern (Thomaskantor war zu dieser Zeit Sebastian Knüpfer). Aber Schütz stellt mit dieser Maßnahme nicht einen wirtschaftlichen Eigennutz in den Vordergrund, sondern gab vorausschauend zu bedenken, dass wohl nur fürstliche Kapellen die Möglichkeit hätten, die sehr vielfältig besetzten Concerti aufzuführen. Aufgrund der oppulenten Besetzung gestaltete sich damals wie heute eine Aufführung dieser außerordentlichen Musik für Kantoreien, Kammerchöre und Ensembles als schwer realisierbar. Dennoch sollte die vertonte Weihnachtsbotschaft nicht allein dem kursächsischen Hof vorbehalten bleiben, sondern sie sollte auch in die kirchenmusikalische Praxis übernommen werden. Wie mannigfaltige Traktate und Vorworte gedruckter Musikalien des 17. Jahrhunderts oft darauf verweisen, die aufzuführenden Werke entsprechend den Gegebenheiten und Möglichkeiten vor Ort anzupassen, so teilt Schütz auch in seinem Vorwort zur Weihnachtshistorie mit, dass er „es frey stellen thut, solche Zehen Concerten (: derer Texte auff diesen Abdrücken, auch mit zu befinden sind 🙂 auff die ihnen beliebende Manier und vorhandenes Corpus Musicum, gar auffs neue anders selbst aufzusetzen, oder durch andere componiren zu lassen.“ Dieser Ansatz hat das Ensemble Polyharmonique dazu inspiriert, eine alternative und für das Ensemble praktikable Version der Weihnachtshistorie zu erstellen.

Die daraus entstandene HISTORIA NATIVITATIS folgt formal strikt der Intention des Sagittarius und wurde für ein „Corpus Musicum“ von sechs Gesangsstimmen, zwei Violinen, Dulzian und einen farbigen Basso continuo (Orgel, Regal, Theorbe, Barockharfe, Violone) eingerichtet.
In Archiven und Bibliotheken ließen sich dafür aus zeitgenössischen, vornehmlich mitteldeutschen Quellen teils unbekannte Musiken von Andreas Hammerschmidt, Samuel Scheidt, Wolfgang Carl Briegel, Johann Georg Carl, Stephan Otto u. a. finden, die exakt den Textvorlagen entsprechen.

Der HISTORIA NATIVITATIS ist ein Prolog vorangestellt, der die traditionelle Weihnachtsgeschichte inhaltlich vorbereitet und mit seiner Dramaturgie verschiedener Stimmtypen in die Handlung eingebunden ist.
Nach der festlichen Eröffnung Freue Dich sehr, du Tochter Zion von Andreas Hammerschmidt folgt entsprechend der liturgischen Tradition die Weissagung. Die von Thomaskantor Tobias Michael vertonten Jesaja-Worte Das Volk, so im Finstern wandelt werden freudig inniglich von jener Sopran- und Tenorstimme vorgetragen, die später in der Historia die Rollen des Verkündigungsengels für die Hirten und des Evangelisten übernehmen. Der nun anschließende, von Schütz meisterhaft vertonte Verkündigungsdialog Sei gegrüßet, Maria SWV 333 beschreibt, wie die Jungfrau Maria durch den Engel Gabriel erfährt, dass sie den Sohn Gottes durch den Heiligen Geist empfangen und gebären werde. Die Rolle des Engels ist mit einer Altstimme charakterisiert, die im späteren Verlauf auch Joseph zur Flucht und Rückkehr nach bzw. von Ägypten auffordern wird, um den Neugeborenen vor den Soldaten des Königs Herodes zu bewahren und ihm nach der überstandenen Bedrohung den Weg zurück in die Heimat weist. Johann Eccards Übers Gebirg Maria geht erzählt vom Weg der inzwischen schwangeren Maria zu der ebenfalls schwangeren Mutter von Johannes dem Täufer (Base Elisabeth), welches in dem frohen Lobgesang Mein Seel den Herrn erhebet mündet. Auch die Sopranstimme der Maria wird im Verlauf der Geschichte immer wieder aufleuchten. Das prächtige Concert Hosianna dem Sohne David von Melchior Franck rundet den Prolog ab. Nach einer kurzen pastoralen Sinfonia von Johann Rosenmüller beginnt nun die eigentliche Weihnachtsgeschichte. Der Eingangschor der ursprünglichen Weihnachtshistorie ist leider nicht vollständig überliefert. Daher markieren die Motetten Ein Kind ist uns geboren und Das Wort ward Fleisch aus der Sammlung Geistliche Chor-Music (Dresden 1648) von Heinrich Schütz die Introduktion und den Beschluss der HISTORIA NATIVITATIS.

Die Evangelistenpartie berichtet daraufhin von den Hirten auf dem Felde, der Anbetung der heiligen drei Könige und der Flucht und Rückkehr nach bzw. aus Ägypten. Wie auch bei Schütz stellen die acht Intermedien eine Fortsetzung der Handlung dar. Sie sind aus den abwechslungsreich konzertierenden Evangelienvertonungen O ihr lieben Hirten und Wo ist der neugeborne König von Andreas Hammerschmidt, Wolfgang Carl Briegels Stehe auf Joseph und dem Weihnachtsdialog O ihr lieben Hirten aus der Sammlung Kronenkrönlein (Freiberg 1648) von Stephan Otto entnommen. Die Partie des Herodes und der Auftritt der Hohenpriester fußen auf dem In Festo Trium Regium Evangelium cum Arien von Johann Georg Carl. Einzig der überzeugende Engelchor Ehre sei Gott in der Höhe entstammt dem Originalwerk.

Die Motetten Also hat Gott die Welt geliebet von Philipp Dulichius, das Deo dicamus von Bartholomäus Gesius und ein Psallite von Samuel Scheidt sind zusätzlich eingefügt worden. Gemeinsam mit den bekannten weihnachtlichen Liedsätzen Es ist ein Ros entsprungen aus der Sammlung von Michael Praetorius, Joseph, lieber Joseph mein von Sethus Calvisius und Lobt Gott, ihr Christen all zugleich von Johann Hermann Schein kommentieren farbenreich das Handlungsgeschehen. Mit der frohlockenden Conclusio In dulci jubilo von Samuel Scheidt endet die Historia. Die vorliegende HISTORIA NATIVITATIS bildet eine Historia ab, wie sie möglicherweise damals in Mitteldeutschland in einer Christvesper oder einem Mettenspiel erklungen sein könnte. Sie verbindet großartige Kunstmusik mit den traditionellen weihnachtlichen Weisen mitteldeutscher Provenienz und transformiert sich in ihrem Verlauf zu einem lebendigen Oratorium. Dieses Weihnachtsoratorium nach Heinrich Schütz SWV 435 versteht sich als Plädoyer für einen freien Umgang mit dem Repertoire des 17. Jahrhunderts und möchte die heutigen Musikschaffenden dazu animieren, sich mit eigenen Versionen und Varianten der Weihnachtshistorie zu beschäftigen und / oder auch andere Werke für konzertante Aufführungen oder den gottesdienstlichen Gebrauch individuell einzurichten. Mut steht am Anfang des Handelns, Glück am Ende.

Alexander Schneider & Christoph Koop