Die „Coburger Markuspassion“ von Johann Georg Künstel (c1645-1694) ist ein weiterer Beleg für die hoch entwickelte Musikkultur des ausgehenden 17.Jahrhunderts in Deutschland jenseits der großen Musikzentren Dresden, Hamburg und Leipzig. Dieses Werk gehört zu den ersten oratorischen Passionen, in denen der Evangelist in Basso Continuo-Rezitativen italienischer Prägung durch die Handlung führt. Alle dramaturgisch wichtigen Protagonisten der Leidensgeschichte (Jesus, Petrus, Judas, Pilatus, Hohepriester, Magd, Hauptmann, Jünger) erscheinen als Soliloquenten und erzählen das Evangelium nach Markus. Das Werk besteht aus fünf Teilen, die an den einzelnen Tagen der Karwoche aufgeführt wurden. Das über zweistündige Opus ist dem italienischen Concertato-Stil verpflichtet und zeigt sich in seinen energiegeladenen Turba-Chören, bildhaften Rezitativen mit deutlich charakterisierten Soliloquenten, den poetisch reflektierenden Duetten und Arien und seinen meditativen Chorälen als raffiniert durchkomponiertes Musikdrama. Das traditionell eingefügte „Ecce quomodo moritur“ von Jacob Gallus und der Schlusschoral “O Traurigkeit“ kennzeichnen das Werk als protestantische Passion „par execellence“.
Johann Georg Künstel lebte in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Anstellungen als Hoforganist und Hofkapellmeister führten ihn nach Ansbach und Coburg. Die Markuspassion entstand vermutlich während seiner Zeit als Coburger Hofkapellmeister. In seiner Faktur ist dieses Werk eine großartige Entdeckung für die Musikwelt.